Der Alltag erzählt die besten Geschichten

Wurzeln und Wachsen

In New Jersey, USA geboren. Mit drei Brüdern als Dorfkind am Rande des Schwarzwalds aufgewachsen. Die Schule überstanden und weg gezogen. In Kalifornien und Florida gelebt und ziemlich gut kochen gelernt. Nach Berlin zum Studium gegangen (Hochschule der Künste, Visuelle Kommunikation). Diplom über Berliner Hundebesitzer gemacht. Nach Kalifornien zurückgekehrt. In der Kreativ-, Fashion- und Interiorbranche gearbeitet. Freunde fürs Leben gefunden. Wieder nach Berlin gezogen und ziemlich lange geblieben. Den Master of Arts gemacht (Art in Context an der Universität der Künste). Die weibliche Alltagskultur einst und heute in Deutschland studiert und zur Expertin geworden. 

Kathrin Haller widmet sich dem visuellen Storytelling und der künstlerischen Feldforschung.

Abgründe und Höhenflüge

»Es ist ganz einfach: ich befasse mich mit Menschenleben. Ich erforsche den Alltag mit seinen Pflichten, Ritualen, seinen Abgründen und Höhenflügen. Ich fahre gerne in öffentlichen Verkehrsmitteln und betrachte die Gesichter meiner Mit­reisenden. Für ein paar Momente sitzen wir hier zusammen – danach sehen wir uns nie wieder.

Ich studiere die Spuren des Lebens in den Gesichtern, sehe Nachmittage auf der Couch, Gardinen und Zimmerpflanzen, höre Radiogeplapper, Kinderstimmen, spüre den Familienzwist, die prickelnde Vorfreude auf den Geliebten oder die Angst vor einem weiteren einsamen Abend. Ich bewege mich in den falschen Bezirken der Städte, wo nicht ständig die Korken knallen – hier spüre ich die Existenz. 

Ich sammle Photoalben, Wortfetzen, Gesichtsausdrücke und Gebrauchsanleitungen. Ich liebe den mahnenden Ton von Hausfrauen- Ratgebern, die das Leben strukturieren und vereinfachen sollen und doch nur aufzeigen, wie unvollkommen wir sind. Die Motive für meine Bilder finde ich in fremden Fotoalben mit ihren Familientreffen und Ausflügen ins Grüne. Man kann die Empfindsamkeit einer Seele entdecken, in der Art, wie eine Handtasche gehalten wird. «

Mission

»Ich  denke, dass ich gegen das Vergessen arbeite. Nicht als bewußtes Anliegen, mir ist das einfach plötzlich aufgefallen, als ich in meinem Atelier stand, umgeben von Fotoalben, Briefen und Schulbüchern von Toten, die ich nicht einmal gekannt habe. Und doch sind sie mir vertraut. Ich weiß, wohin sie manchmal gereist sind, wie sie ihren Weihnachtsbaum geschmückt haben und wann das Wohnzimmer neu tapeziert wurde. Zwischen den Fotos, Briefen und Schulaufsätzen sprechen sie zu  mir. Manchmal laut, aber meist leise erzählen sie von den schönen und schlimmen Erlebnissen, von Mißerfolg und Leidenschaft und ungelebten Träumen. Sie erzählen es mir, damit es nicht vergessen wird und ich halte es fest in meinen Bildern. Akribisch suche ich den Moment, in dem es sich ausdrückt, der Linie, in der die Emotion mitschwingt. Ich arbeite so lange bis es stimmt und alle zufrieden sind.«


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