Was vom Leben übrig bleibt

Künstlerische Feldforschung in einem Berliner Altenheim

Die Idee zu dieser Arbeit kam uns während eines unserer zahlreichen Besuche bei einem Berliner Nachlassverwalter. Es war gerade eine neue Lieferung eingetroffen. Der fast komplette Hausstand einer gerade Verstorbenen mit allem, was man so zum Leben braucht: Das zur Haushaltsführung Notwendige (Meister Proper und Persil), was das Leben schöner macht (die Fischer Chöre und Dostojewski) und den Menschen schöner macht (Oil of Olaz und Triumph). Und die Dinge, die uns beweisen, dass wir nicht alleine sind oder es zumindest nicht immer waren (Tauffest in Stralau 1938 und Grüsse aus dem schönen Rimini). Man kann sich all dies zusammen setzen und versuchen ein Leben zu (re)konstruieren. Man kann Geschichten und Dialoge erfinden und jemandem zuordnen, Dramen und Glücksmomente abspielen lassen und der Wahrheit vielleicht sogar nahe kommen. Aber in diesem Moment bedauerten wir es doch, dass es keine Stimme mehr gab, die uns die vielleicht einzig wichtige Geschichte dieses Lebens erzählen könnte, den Überrest eines langen und einmaligen Lebensweges. Also suchten wir uns einen Ort, wo wir mit den Alten zeit verbringen und mit ihnen sprechen konnten.

Die Ergebnisse der Forschungsarbeit wurden in Form einer Ausstellung mit und eines Booklets präsentiert.
Idee, Konzept, Gestaltung: Kathrin Haller. Umsetzung mit Charlotte Müller und Christine Gerlach.


The remains of life - a field resarch in a Berlin retirement home

The idea for this work came to us during a visits to one of the many thriftstores in Berlin. A new delivery had just arrived. The almost complete household of a recently deceased person, with everything one needs to live: The necessities of housekeeping (Meister Proper and Persil), what makes life more beautiful (the Fischer Choirs and Dostoyevsky) and what makes people more beautiful (Oil of Olaz and Triumph). And the things that prove to us that we are not alone, or at least that we have not always been alone (the christening in Stralau in 1938 and greetings from beautiful Rimini). You can put all this together and try to (re)construct a life. You can invent stories and dialogues and assign them to someone, play out dramas and moments of happiness, and perhaps even come close to the truth. But at that moment we regretted that there was no longer a voice to tell us what might be the only important story of this life, the remnant of a long and unique life. So we looked for a place where we could hang out with the elders and talk to them.

»Die Frauen hatten im Krieg die Machtstellung. Als die Männer zurückkamen, hatten die nichts zu sagen. Ist ja ganz erklärlich. Sicher gab’s Ärger. Denn die Frau ist ja aufgewacht und hat gesagt: »Ich bin doch auch wer!« Früher hieß es immer: »Du hast nichts zu sagen.« Ob es die Wahlen waren oder sonst was, nie hat die Frau eine eigene Meinung haben dürfen. Immer galt, was der Mann sagte. Und das war nun zu Ende. Das war für den Mann ein Tiefschlag, für die Frau ein Aufstieg.« Maria L., 89 Jahre

»Women had the power during the war. When the men came back, they had nothing to say. That's understandable. There must have been trouble. Because the woman woke up and said: "I'm somebody too!" Men always said: "You have nothing to say." Whether it was elections or anything else, women were never allowed to have an opinion. It was always what the man said. And that was over now. It was a low blow for the man, but a step up for the woman.« Maria L. 89 years old.

»Er war groß, schlank, ist Pilot geworden – eigentlich wollte er Beamter werden. War schon in der Ausbildung. Da begegnet er in Vehrden zwei Schulfreunden in toller schicker Uniform – er hatte so’n Hang zu Schickem und Schönem. Und da haben die ihn überredet und gesagt: »Mensch Du hast doch die Figur, die Größe und alles. Meld’ Dich doch bei der Luftwaffe!« Da war ja Heil Hitler schon dran. Er hat's gemacht. Ein paar Wochen nach meinem Geburtstag wurde er in Russland abgeschossen.« Mia R. 96 Jahre

»He was tall, slim, was going to be a pilot - he actually wanted to be a civil servant. He was already in training. Then, in Vehrden, he met two school friends in great, smart uniforms - he had such a penchant for the smart and beautiful. And they persuaded him and said: "You have the figure, the height and everything. Why don't you join the Luftwaffe?" Heil Hitler was already there. He did it. He was shot down in Russia a few weeks after my birthday.«
Mia R. 96 years old

Wie komme ich überhaupt hierher, wer hat dafür gesorgt, dass ich in diesen Raum komme, wo ich gar nicht hingehöre, konnte ich nicht mehr alleine leben? Natürlich war das so.Das glaube ich gerne, dass ich nicht alleine leben konnte. Also muss ich jetzt immer hier leben. Das ist schlimm genug.
Günter M. 90 Jahre

How did I get here in the first place, who made sure that I ended up in this room where I didn't belong, couldn't I live alone? Of course that was the case, I like to think that I couldn't live alone. So I always have to live in this place. 
That's bad enough.

Heiraten se bloß keinen Mann der trinkt. Der nachher besoffen nach Hause kommt. Das sag ich ihnen jetzt schon. Zwei, drei Bier kann er wohl trinken, aber mehr nicht. Sonst kommt er auf’n Geschmack und hört überhaupt nicht mehr auf. Bei meinem war das so. Der hat auch den Arsch nicht voll gekriegt.
Also wirklich wahr.
Hildegard D. 83 Jahre alt

Don't marry a man who drinks. Who comes home drunk. I'm telling you. He can have two or three beers, but no more. Otherwise he'll get a taste for it and never stop. That was the case with mine. He couldn't get his ass full either.
My word, really!

Ich war noch klein, aber erinnere mich, wie es hieß: Der Krieg ist ausgebrochen! Da habe ich angefangen zu schreien. Ich war draussen und hab gedacht: der Krieg ist bei uns in der Straße, und ich komme nicht mehr nach Hause. Da haben sie mich nach Hause gebracht und mir gesagt: Der Krieg ist nicht hier, der ist ein ganzes Ende weg.
Hedwig W. 98 Jahre

I was little, but I remember what they said: War has broken out! That's when I started screaming. I was outside and I thought: the war is in our street and I'm not coming home! So somebody took me home and told me: the war isn't here,
it's far away.

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